Eine Freikirche stellt sich vor
Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland
Ein Überblick des Kirchengeschichtlers Günter Balders
Die deutschen Baptistengemeinden sind Kinder der Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts. Die erste deutsche Baptistengemeinde entstand nicht, wie man vermuten könnte, durch Aktivitäten einer baptistischen Missionsgesellschaft, sondern durch die Arbeit eines einzelnen Mannes, der zum Vater des kontinentaleuropäischen Baptismus wurde, Johann Gerhard Onckens (1800–1884). Er hatte 1814 als Gehilfe eines schottischen Kaufmanns seine lutherische Heimatstadt Varel in Norddeutschland verlassen und lebte einige Jahre in Schottland und England. Dort lernte er Menschen kennen, deren Christsein sich deutlich von der in Deutschland noch dominierenden rationalistischen Frömmigkeit unterschied. In einer Londoner Methodistenkirche bekehrt, stellte er sich als Agent der überkonfessionellen „Continental Society for the Diffusion of Religious Knowledge over the Continent of Europe“ zur Verfügung und arbeitete seit 1823 von Hamburg aus als Missionar. Schwerpunkte waren die Bibel- und Schriftenverbreitung sowie die freie Verkündigung des Evangeliums, Tätigkeiten, die im damals staatskirchlichen Kontext vielfach als illegal angesehen und stark behindert wurden. Die Suche nach einem geistlichen Zuhause für die in seinen Erweckungsversammlungen Bekehrten lenkte ihn zu der Frage nach dem Verhältnis von Taufe und Gemeinde der Gläubigen. Sie fand ihre Antwort in der Gründung der Baptistengemeinde Hamburg und Onckens Ordination als deren Ältester am 23. 4. 1834, nachdem Oncken und sechs weitere Personen am Abend zuvor durch den amerikanischen Theologieprofessor Barnas Sears getauft worden war, der sich studienhalber in Deutschland aufhielt. Die weitere Missionsarbeit geschah in engem Kontakt mit nordamerikanischen und britischen Baptisten und zahlreichen Missionsgesellschaften, zu denen Oncken Kontakt hielt und die das Werk ideell und finanziell förderten. Auf vielen Missionsreisen sammelte Oncken erweckte und neu für den Glauben gewonnene Menschen in Gemeinden, die er nach biblischem Modell zu ordnen suchte. Trotz fehlender Religionsfreiheit und jahrzehntelanger Diskriminierung und Unterdrückung breiteten sich die Baptistengemeinden aus, nicht nur im politisch noch stark zersplitterten Deutschland, sondern auch in vielen Nachbarländern. Dazu trug wesentlich das missionarische Verständnis des Priestertums aller Gläubigen bei, das Oncken selbst immer neu motivierte und das er den Kontinentaleuropäischen Baptisten als Erbe hinterlassen hat. Unermüdlich im Fund raising wurde er von einem englischen Freund nach der Zahl der Missionare gefragt, die er zu unterstützen habe, gab Oncken spontan die Gesamtzahl der Mitglieder an, denn „we consider every member as a missionary“. Dieser Satz ist in der Form „Jeder Baptist ein Missionar“ zum geflügelten Wort geworden. Vor allem die reisenden Handwerker haben viel zur Ausbreitung der Baptistengemeinden beigetragen. Neben Oncken haben vor allem der Berliner Gottfried Wilhelm Lehmann (1799–1882), Vater der Baptisten in Preußen, und Julius Köbner(1806–1884), ein dänischer Judenchrist, der viele Jahre im Rheinland und in Kopenhagen wirkte und im Revolutionsjahr 1848 mit einem „Manifest des freien Urchristentums an das deutsche Volk“ energisch für Religionsfreiheit eintrat, den kontinentaleuropäischen Baptismus geprägt. Bei Oncken Tod umfaßte der 1849 gegründete Bund der Baptistengemeinden in 165 Gemeinden über 30 000 Mitglieder in mehr als einem Dutzend europäischer Länder. Die letzten Lebensjahre Onckens waren von einem Konflikt über die angemessenene Struktur der gemeinsamen Arbeit überschattet, mit dem Ergebnis, das fortan mit einer größeren Unabhängigkeit die Ortsgemeinden auch stärker selbst für die Missions- und Gemeindearbeit verantwortlich wurden. Die Leitung der Gemeinden lag in den Händen von Ältesten, zu denen auch die von der zweiten Generation an festangestellten Prediger (Pastoren) zählen. Besondere Bedeutung für die weitere Ausbreitung der Baptistengemeinden in Deutschland gewannen die zahlreichen Sonntagsschulen für Kinder, die vielfach Keimzellen für sog. „Stationen“ (Filialgemeinden) wurden sowie die am Ende des 19. Jahrhunderts unter amerkanischem Einfluß eingeführten Evangelisationswochen durch dazu besonders begabte Gastevangelisten.