Christus spricht: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ (Johannes 14,19)

Häufig wird dieses Wort im Zusammenhang mit Tod, zukünftigem Leben, Ewigkeit oder Endzeit betrachtet. Das ist sicher ein wichtiger und entscheidender Aspekt dieses Bibelabschnittes. Aber, als Jesus dieses Wort zu seinen Jünger sagt, spricht er zunächst einmal im Heute und Jetzt. Er ist ja noch gar nicht ins Leid, ans Kreuz, ins Grab gegangen und dann auferstanden und aufgefahren zu unserem Vater.
Warum aber richtet er diese Verheißung des Lebens in der Welt an seine Jünger, die an seiner Seite, mit ihm unterwegs sind und – ganz offensichtlich – leben?

Es muss um das Wie dieses Lebens gehen, um seine Qualität, seinen Sinn und seine Fülle. Heute wie auch in vergangenen Zeiten tun wir uns schwer mit diesen Fragen und Gedanken. Wir schieben sie immer wieder gern bei Seite und wenden uns stattdessen dem Leben zu, das in und von dieser Welt ist, das man messen, in Zahlen und in seiner Länge ausdrücken kann: So viele Jahre habe ich, bald kommt mein soundsovielter Geburtstag usw.

Wie verstehen wir Leben? Da sagt der eine vielleicht: „Die Hartz IV-Empfänger sollen sich mal nicht so haben,  so lange sie von dem Geld leben können, das sie kriegen!“ – Ist das schon das Leben, dass man sich kleiden kann, eine Wohnung hat und jeden Tag satt zu essen? Gehört zum Leben nicht z.B. auch eine Arbeit, die uns Erfüllung schenkt und das Gefühl, gebraucht zu werden? Wie viele Menschen müssen das in unserer Zeit entbehren?

Oder jemand anderes sagt: „Uns geht es zwar gut, wir können uns alles leisten, wir haben ein schönes Haus, zweimal im Jahr fahren wir in Urlaub … Und dennoch fragen wir uns oft: „Ist das ein Leben – unser Leben?“

Ein noch ernsteres Beispiel: Da sitzt eine Frau in der Intensivstation schon seit vielen Tagen am Bett ihres Mannes. Die Ärzte haben den Mann nach dem Schlaganfall wieder „ins Leben zurückgeholt“. Das waren ihre Worte nach der Operation. Jetzt sitzt sie schon seit fast zwei Wochen täglich viele Stunden lang an seinem Bett, hält seine Hand und schaut auf die Anzeigen auf den Geräten hinter ihm: Herzschlag, Blutdruck und noch einige andere Werte, die ihr nichts sagen, sind da zu sehen. Und alles – so bestätigen die Ärzte – im normalen Bereich. Aber der Mann schlägt die Augen nicht auf. Und wenn er es tut, was wird dann mit ihm sein? Immer wieder muss die Frau in diesen Tagen mit den so zäh verstreichenden Stunden an diese Worte denken: „ins Leben zurückgeholt“ … Und je länger sie dort sitzt, umso mehr Fragen kommen ihr. Zweifel, ob das ein Leben ist und ob es je wieder eines werden kann.

Leben ist mehr als etwas, was wir messen und zählen können. Jeder von uns kennt Zeiten in denen wir sagen und klagen: So habe ich mir das Leben aber nicht vorgestellt! Dabei müssen wir nicht unbedingt Not leiden und es kann äußerlich bei uns alles zum Besten bestellt sein – und dennoch, das Empfinden bleibt. Es reicht nicht aus, zufrieden zu sein mit Wohnung, Kleidung, Essen und Trinken, Auto, Urlaub, Fernsehen, dem richtigen Blutdruck und gesunden Cholesterinwerten …

Ahnen wir, beginnen wir zu verstehen, was Jesus wohl meint, wenn er uns zuspricht: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ ?

Jesus möchte, dass wir zu einem Leben finden, in dem Sinn und Freude ist, in dem es erfüllte Stunden gibt, in denen wir wissen und erfahren, dass wir gebraucht werden und Aufgaben haben, ein Leben, das Ziele hat, für die es sich lohnt zu leben.
Er hat es uns vorgelebt, wie wahres Leben aussehen kann: Er war für die Mitmenschen da. Er hat sich ihrer angenommen. Ihr Leid, ihre Krankheit, ihre Sorgen hat er zu seinen gemacht. Wo Angst war, hat er Hoffnung geschenkt. Wo Not war, hat er geholfen. Die Schwachen und Außenseiter hatten in ihm einen Fürsprecher. So hat er in der Dunkelheit der Welt ein Licht angezündet, ja, er ist selbst zum Licht geworden. – Er kann von sich sagen: „Ich lebe!“

„… und ihr sollt auch leben.“ – Das ist der Auftrag für uns: Dass wir uns, wie er, den Menschen zuzuwenden. Wie er sollen wir für unsere Nächsten da sein, ihr Leid, ihre Krankheit, ihre Sorgen nach Kräften lindern. Wo Angst ist, von der Zuversicht reden. In Nöten denen beistehen, die sich allein nicht helfen können. Für die sprechen und bei ihnen ausharren, die in Schwermut und Einsamkeit verstummt sind. So können auch wir ein Licht ins Dunkel tragen und selbst für andere zum Licht werden. Dann erkennen wir was es heißt: „… ihr sollt auch leben!“ Dieses Leben wird uns froh machen – Jeden auf seine Weise.

Wollen wir ein solches Leben wirklich? Werden wir es durchhalten? Wird die Anstrengung uns nicht überfordern, die Mühe nicht zu groß? Und wo bleiben wir selbst dabei? Lassen wir uns nicht von unseren Bedenken überwältigen! Jesus lebt und hilft uns, damit auch wir leben können!

Er segne uns alle im Jahr 2008 und darüber hinaus.Torsten Zozmann