Güte ohne Grenzen

„Herr, deine Güte reicht, soweit der Himmel ist.“ (Psalm 36,6)

Wie weit reicht wohl der Himmel? Selbst Wissenschaftler vermögen den Kosmos nicht zu begrenzen. Und für einen Laien mit nur spärlichen Weltallkenntnissen bleibt der Himmel erst recht ein Raum ohne Ende. Er ist grenzenlos, unendlich, ewig. Dieses Bild von der Unendlichkeit wird zum Symbol einer Eigenschaft unseres Gottes: Güte ohne Grenzen! Sie gehört zu Gottes Wesensart. Sicher – wir wissen auch von seiner Unnahbarkeit, seinem Absolutheitsanspruch, der Radikalität seiner Gehorsamsforderung. Aber ohne Liebe und Güte wäre alles keine Hilfe, wäre der Mensch alleingelassen in seiner Verlorenheit.

„Güte – soweit der Himmel reicht!“ Güte hat jenseitige Dimensionen; Güte ist ewig. Sie entspringt nicht menschlichen Kategorien. Gottes freizügig schenkende Art, Gottes Wollen setzt den einzigen Maßstab dafür. Und diese Güte will und soll den Menschen aus der selbstverschuldeten Verkehrtheit des Lebens, aus hilfloser Einsamkeit, aus dem Mangel an Lebensinhalt herausführen, zur Umkehr bringen, zur Buße führen. Der Apostel Paulus schreibt im Römerbrief (2, 4): „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit? Weißt du nicht, daß Gottes Güte zur Buße leitet?“ – Nicht menschliche Anstrengungen und Askese führen zur Korrektur des persönlichen Lebens, sondern der gnädige Eingriff der Güte Gottes.

So wird Güte auch zur Frucht unseres Lebens. Unser Mangel erfährt eine Umwandlung und Erneuerung. Das ganze Leben wäre leichter, wenn diese jenseitige Kraft uns besonders in kritischen Augenblicken erfüllen würde.

Wer bedarf der Güte nicht? Das Verlangen nach Liebe sieht man uns allen an. Wir haben erfahren, daß ein liebloses Leben nicht lebenswert ist.

Erst wo Gottes Güte zum Ereignis wird, da erfüllt sich unser Leben. Dann hört die Sorge um uns selbst und die Angst vor der Wirklichkeit auf.

Vielleicht bedrückt uns weiterhin die Armut, die Krankheit, das Sterben – auch der Beruf, die Familie, die Erziehung der Kinder, aber alles erdrückt nicht mehr. Die Lähmung ist genommen. Der Sohn Gottes, der Herr Jesus Christus, ist der Garant der Güte ohne Grenzen! Er hat Worte des Lebens. Wer ihn bittet, der wird empfangen, damit seine Freude vollkommen sei (Joh. 16, 24). Und er bricht sein Wort nicht. Seine Zusage ist nicht Schall und Rauch. Es gibt Worte in unserm Leben, die uns kalt lassen, die völlig an uns vorbeigehen; aber auch solche, die uns zusetzen, die nicht nur ins Gehör, sondern auch ins Gewissen gehen. Man kann an bösen Worten regelrecht krank werden; aber an guten Worten, an Worten des Lebens, kann man zur Freude kommen.

Es ist Gottes gütiges Wort, das uns solch ein Versprechen auf den Weg gibt. Es ist die Zusage, daß wir unbegrenzt Freude, Güte, Wärme und Verstehen empfangen können. Bei Gott gibt es keinen Mangel. Er ist ein Herr des inneren Reichtums, um den wir bitten dürfen. Christen leben aus geistlicher Fülle und von jenseitiger Güte. Sie sind keine „Verzicht-Nachfolger“. Gottes Erbarmen ist unendlich, ohne Grenzen seine Vergebung. Sicher wissen Christen auch von „Verzicht“. Aber nicht, was den Reichtum Gottes und die Freude Christi angeht. Sie haben einen spendenden, einen großzügig schenkenden Gott. Man darf ihn bitten, um sichtbar zu empfangen.

Die Freude Jesu Christi ist die Freude unseres Lebens. Wir haben Zugang, wir können Gebrauch machen. Aber Bitte und Gabe sind untrennbar. Wer es nicht ausspricht, empfängt nicht. Bitten und Nehmen gehören unübersehbar zusammen. Es steckt beides ineinander: Das Nehmen im Bitten und das Bitten im Nehmen.

Jedoch will beides gelernt sein, oft in trüben Stunden, in tiefem Leid, in letztem Dunkel. Dann aber stehen wir da: sehr arm und doch reich, beschenkt als die, die nichts haben und doch alles besitzen; göttliche Fülle in menschlicher Leere! Gott gibt, was er hat: Vergebung der Sünden, ewiges Leben. Der Glaube vertraut auf Worte des Lebens, auf Gottes Reichtum, auf Güte ohne Grenzen. Aus „Geborgen in den Ängsten der Zeit“ von Gerhard Naujokat